Bei einem BürgerForum erarbeiten ca. 100 – 400 zufällig ausgewählte Teilnehmer im Rahmen von Präsenzveranstaltungen und über eine Online-Plattform programmatische Texte zu einem gesellschaftlich relevanten Thema. Die Teilnehmenden im BürgerForum gestalten dabei ihren eigenen Diskussionsprozess: Sie informieren sich, argumentieren, treten für ihre Überzeugungen ein, begründen sie und stimmen ab. So erarbeiten sie politisch anschlussfähige Problemanalysen und konkrete Lösungsvorschläge. Zugleich überdenken sie ihre Meinungen, schärfen ihren Sinn für das Gemeinwohl und entwickeln ein Verständnis für die Komplexität politischer Debatten und Entscheidungsfindungen. Damit leistet das BürgerForum einen nachhaltigen Beitrag zur Förderung der Demokratiefähigkeit und zur demokratischen Aktivierung aller Teilnehmenden.
Durch die Kopplung mehrere BürgerForen lässt sich die Teilnehmerzahl vervielfachen (bisher erprobt: ca. 10.000 Teilnehmer).
Videos (Youtube/Vimeo)
Ablauf/Eckpunkte
Das Verfahren gliedert sich in 5 Phasen.
Phase I: Teilnehmereinladung/Prozessvorbereitung
Die Teilnehmer werden offen, face-to-face und/oder per telefonischer Zufallsauswahl unter Berücksichtigung sozio-demografischer Faktoren eingeladen, um eine vielfältige Gruppe zu erhalten. Parallel hierzu werden die organisatorischen Vorbereitungen für die Auftaktveranstaltung getroffen, die Online-Plattform eingerichtet und Informationsmaterialien zusammengestellt.
Phase II: Vorbereitung der Teilnehmer
Die Teilnehmer können sich in einer Vorbereitungsphase auf der Onlineplattform über Thema, Fragestellungen und das Verfahren informieren. Hierzu werden verschiedene Medienformate (Filme, Dokumente, Grafiken, Fotos) bereitgestellt. Zusätzlich können Fragen an die Organisatoren und Experten gerichtet werden.
Phase III: Auftaktveranstaltung
Im Rahmen einer eintägigen Auftaktveranstaltung lernen sich die Teilnehmer persönlich kennen und fassen Vertrauen in den Prozess des BürgerForums. Sie arbeiten in Ausschüssen zu verschiedenen Themen und bringen ihre Ideen und Anregungen hierzu ein. Abschließend einigen sie sich auf eine Herausforderung/Problemstellung pro Ausschuss, zu der in der Online-Phase Lösungsvorschläge erarbeitet werden.
Phase IV: Online-Diskussion
In dieser mehrwöchigen Phase werden die Diskussionen vertieft. Zu den Herausforderungen aus der Auftaktveranstaltung werden Lösungsvorschläge erarbeitet, kommentiert, redigiert und schließlich bewertet. Die bestbewerteten Vorschläge aller Ausschüsse bilden das Bürgerprogramm. Auch in dieser Phase stehen Experten zur Verfügung.
Phase V: Abschlussveranstaltung
Bei der mehrstündigen Abschlussveranstaltung wird das Bürgerprogramm der Öffentlichkeit vorgestellt und mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft diskutiert. Es werden Maßnahmen zur Ergebnisverwertung vereinbart.
Das gesamte Verfahren dauert für die Bürger etwa sechs bis acht Wochen und wird durch professionelle Moderatoren begleitet.
Ziel/Wirkung
Das Verfahren wurde bis dato auf bundesweiter Ebene eingesetzt für die Erarbeitung von Bürgerprogrammen zu den Themen
- Soziale Marktwirtschaft (2008), Europa (2009), „Zukunft braucht Zusammenhalt. Vielfalt schafft Chancen“ (2011)
Auf regionaler Ebene zu kommunalen Themen in 5 Kommunen:
- Karlsruhe, BürgerForum "Nachhaltige Oststadt - Zukunft aus Bürgerhand",
- Marburg, BürgerForum "Bundesgartenschau 2029"
- Oldenburg, BürgerForum "Demographischer Wandel"
- Remseck am Neckar, BürgerForum "Stadtteil Hochdorf"
- Wiehl, BürgerForum "Aktiv Zukunft gestalten"
Hinweise zur Umsetzung
Die Online-Plattform sowie sämtliche Materialien für die Durchführung eines BürgerForums stehen frei zur Verfügung unter https://github.com/bertelsmannstift/buergerforum
Kosten/Aufwand
Ein Bürgerforum kostet zwischen 30.000 und 100.000 Euro.
Aufwand Teilnehmer
Der Zeitaufwand für die Teilnehmer beläuft sich auf 2 Tage Präsenz,. ca. 5-15 Stunden Online-Diskussion und etwa 5 Stunden Vorbereitung, verteilt auf rund 8 Wochen.
Sinnvoll einzusetzen, wenn
Das Verfahren ist geeignet, wenn:
- ein Leitbild erstellt werden soll
- ein Thema und die Meinung der Bürger dazu auf die politische Agenda soll
- die öffentliche Diskussion zu einem Thema bereichert werden soll-
- wenn nicht nur die üblichen Verdächtigen beteiligt werden sollen
- wenn das Gemeinwohl über das Einzelinteresse von Betroffenen gestellt werden soll
- neue Ideen zu einem übergreifenden Problem gewonnen werden sollen
Nicht sinnvoll einzusetzen, wenn
Das Verfahren ist nicht geeignet, wenn:
- verhärtete Konflikte zwischen Interessensgruppen bestehen bzw. um diese zu befrieden,
- der Prozess öffentlich/für jedermann zugänglich sein soll (da geschlossener Teilnehmerkreis)
- Interessierte und Betroffene eingebunden werden sollen (da Zufallsauswahl)
- Expertenmeinungen eingeholt werden sollen
- nicht ausreichend Zeit zur Verfügung ist, weilschnelle Entscheidungen getroffen werden sollen/müssen
Stärken
- Verbindet hohe Beteiligung mit Deliberation/Diskussion
- kann Teilnehmer stark für Themen/Beteiligung aktivieren
- kann hohe öffentliche/politische Aufmerksamkeit erlangen
- kann die Akzeptanz für politische Entscheidungen erhöhen
- bringt gemeinwohl- und konsensorientierte Lösungsvorschläge hervor
- Kompetenzaufbau zum Thema Bürgerbeteiligung in der Verwaltung
Schwächen
- Zeitaufwand für Teilnehmer
- kann nicht erfüllbare Erwartungen wecken, wenn die Ergebnisverwertung nicht im Vorfeld kommuniziert wird
- ggf. technische Hürden für Teilnehmer
Ursprung
Entwickelt und erprobt von der Bertelsmann Stiftung und der Heinz Nixdorf Stiftung.