Im Rahmen des Bürgerhaushalts in La Plata können die Bürger auf Versammlungen Vorschläge zur Budgetverwendung machen und per Wahlurne und SMS darüber abstimmen. Die Stadt schafft es dabei mehr als 10 Prozent der Bürger einzubinden.
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Hintergrund
Nach einer Militärdiktatur und wirtschaftlichen Krisenzeiten befindet sich Argentinien heute wieder im Aufschwung. Die jüngste Geschichte hat jedoch ein tief sitzendes Misstrauen der Bürger gegenüber der Politik hinterlassen. Zudem lassen sich die großen sozialen Unterschiede sowie die grundlegenden Versorgungsprobleme nicht mit den knappen finanziellen Mitteln der öffentlichen Hand bewältigen. Um eine Antwort auf diese Herausforderungen zu finden, hat sich der Bürgermeister von La Plata für eine umfangreiche Einbindung der Bürger in die Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel entschieden. Hierfür hat er sich von Bürgerhaushalten in Brasilien inspirieren lassen.
Ziel
Da in La Plata die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht mal zur Deckung grundlegender Bedarfe (wie zum Beispiel Abwassersysteme) reichen, sollen die Bürger selbst entscheiden, welche Bedarfe in ihrem jeweiligen Stadtteil am dringensten gedeckt werden sollen. Der Bürgerhaushalt hat dabei sowohl eine starke Bedarfsorientierung und Verteilungsgerechtigkeit als auch eine Befriedung zum Ziel.
Prozess
Der Beteiligungsprozess in La Plata ist wie folgt aufgebaut:
Das Stadtgebiet von La Plata wird für den Beteiligungsprozess in 45 Nachbarschaften eingeteilt. Bevor der Prozess beginnt, beschließt der Stadtrat, wie viel Geld jeder Nachbarschaft zur Verfügung steht.
Über die Medien und Handzettel, die an alle Haushalte verteilt werden, lädt die Stadt die Bürger zu den lokalen Veranstaltungen ein. Auf Nachbarschaftstreffen (drei bis fünf pro Nachbarschaft) bringen die Bürger ihre Projektvorschläge ein und diskutieren diese. Häufig haben sich die Teilnehmer auch schon vorher mit Freunden und Nachbarn beraten, welche Projekte für die Nachbarschaft besonders wichtig sein könnten. Die Teilnehmer der Nachbarschaftstreffen können sich insgesamt auf bis zu 20 Projekte einigen, die sie für die weitere Auswahl nominieren möchten.
Nachdem alle Bürger La Platas ein paar Wochen lang in den Medien und mit Hilfe von Handzetteln über die zur Auswahl stehenden Projekte informiert wurden, findet die Entscheidung über die Verwendung der Mittel statt. Alle wahlberechtigten Bürger können sich an dieser Abstimmung beteiligen. Sie geben ihre Stimme entweder persönlich in einem Wahllokal in ihrer Nachbarschaft ab oder schicken die Identifikationsnummer ihres bevorzugten Projektes einfach per SMS an die Stadtverwaltung. Durch die Registrierung der Personalnummer wird sichergestellt, dass jeder Bürger nur eine Stimme abgibt.
Der Bürgermeister gibt die Ergebnisse auf einer öffentlichen Pressekonferenz am letzten Wahltag bekannt.
Diejenigen Bürger, die die gewählten Projektvorschläge eingereicht haben, werden auch in die Umsetzung eingebunden. D. h., sie kontrollieren zum Beispiel, ob die Bauunternehmen gute Arbeit leisten und alle Zeitpläne eingehalten werden.
Der gesamte Beteiligungsprozess wird durch vier Mitarbeiter der Stadtverwaltung und ehrenamtliche Helfer organisiert. Die Prozesskosten belaufen sich auf ca. 90.000 Euro im Jahr.
Ergebnisse
Am Beteiligungsprozess nahmen zuletzt mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten teil. Knapp 50.000 Bürger haben sich im Jahr 2010 an der Abstimmung beteiligt, 5.000 Bürger nahmen an den Veranstaltungen teil. Die Zahl der Beteiligten hat sich seit Einführung des Modells im Jahr 2008 etwa verdoppelt. Die Kosten für die Durchführung des Prozesses fallen vergleichsweise gering aus – gemessen an der Anzahl der Beteiligten. Über die Repräsentativität der Beteiligung und Einbindung schwer erreichbarer Gruppen der Bevölkerung liegen keine Daten vor. Ebenso unklar ist, inwieweit sich die Bürger – animiert durch den Bürgerhaushalt – auch darüber hinaus politisch engagieren und einbringen.
Das Budget, das den Bürgern zur Verfügung gestellt wird, ist seit 2008 um das Dreifache gestiegen. Während die Bürger im ersten Jahr über ca. 850.000 Euro entscheiden konnten, waren es im Jahr 2010 ca. 2,8 Millionen Euro.
Die Bürger La Platas haben seit 2008 mehr als 200 Projekte initiiert (Stand 2011). Ein Großteil hiervon wurde bereits umgesetzt. Die Projekte sorgen vor allem für die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse wie Abwassersysteme, Straßenbeleuchtung und Kindergärten. Aber auch der Ausbau von Spielplätzen, Sporthallen oder kulturellen Einrichtungen wird gefördert.
Derzeit wird diskutiert, ob der Bürgerhaushalt in Zukunft im gesamten Bundesstaat Buenos Aires verbindlich eingeführt werden soll.
Kontakt
Alexander Koop
Bertelsmann Stiftung
alexander.koop@bertelsmann-stiftung.de
Sarah Seidemann
Bertelsmann Stiftung