Ein Bürgerhaushalt ist ein auf Dauer angelegter Beteiligungsansatz, bei dem die Bürger in die Aufstellung des Haushalts einbezogen werden. Das konkrete Vorgehen kann dabei sehr unterschiedlich sein und reicht von der individuellen Einreichung von Vorschlägen für Investitionen in einzelnen Haushaltsbereichen bis hin zur kollektiven Entscheidung über Ausgaben oder Sparmaßnahmen im Gesamthaushalt.
Ablauf/Eckpunkte
Ein Bürgerhaushalt kann auf sehr unterschiedliche Weise ablaufen. Gleich bei allen Bürgerhaushaltsverfahren ist lediglich, dass sie auf Dauer angelegte, diskursive Verfahren sind, die sich auf die Aufstellung des Haushalts und damit die Bereitstellung von finanziellen Mitteln auswirken. Eine einmalige Veranstaltung, eine einfache Befragung oder ein Referendum zu Haushaltsfragen wird nicht als Bürgerhaushalt bezeichnet.
Die Variationsbreite der Verfahrensgestaltung hängt dabei vor allem mit den unterschiedlichen Zielsetzungen zusammen, die mit einem Bürgerhaushalt angestrebt werden. Diese reichen von bedarfsorientierter Umverteilung, Demokratisierung und Korruptionsbekämpfung - die zu einem hohen Maß an Gestaltungsmacht durch die Bürger führen - bis hin zur besseren Vermittlung von Haushaltsfragen. Ebenso wird ein Bürgerhaushalt in den letzten Jahren vermehrt dazu eingesetzt, um Haushaltskonsolidierungen mit Unterstützung der Bürger durchzuführen, wobei sich hier die Frage stellt, ob diese noch unter der Bezeichnung "Bürgerhaushalt" geführt werden sollten, da dies zu falschen Erwartungen der Bürger führen kann.
Das "klassische", aus Brasilien stammende Modell des Bürgerhaushalts, das auf Umverteilung und Demokratisierung ausgerichtet ist, sieht öffentliche Versammlungen vor, auf denen die Bürger Vorschläge für die Verwendung eines zumeist zuvor festgelegten Teils der Haushaltsmittel einreichen und darüber abstimmen können. Auf diesen Versammlungen wählen die Bürger zudem Delegierte, die im Anschluss die Vorschläge weiter ausarbeiten, für den Beschluss durch den Rat vorbereiten und schließlich die Umsetzung begleiten.
In Deutschland hat sich in Abgrenzung zu dem brasilianischen Vorbild eher ein Verfahren durchgesetzt, bei dem die Vermittlung der Haushaltslage mit Anregungen zu Investitions- und Sparmaßnahmen durch die Bürger verknüpft wird. Die Wahl von Delegierten und Einbeziehung in die Umsetzung und Kontrolle von Vorschlägen findet in Deutschland daher zumeist nicht statt.
Im Rahmen dieser Ausprägung des Bürgerhaushalts werden die Bürger zunächst über den Gesamthaushalt und Ausgaben und Einnahmen informiert. Anschließend können sie Vorschläge in öffentlichen Versammlungen oder über das Internet einbringen und ihre Prioritäten zum Einsatz der Mittel angeben. Bei Online-Verfahren fällt die Information mit der EInbringung von Vorschlägen zusammen. Vorschläge werden dann von der Verwaltung auf ihre Realisierbarkeit und entstehende Kosten oder Einsparungen hin geprüft (bei Online-Verfahren kann dies auch während der Einreichungsphase geschehen) und in den Rat zur Diskussion und Beschließung eingebracht. Das Verfahren schließt dann mit einer Rechenschaftslegung ab, bei der dargelegt wird, welche Vorschläge der Bürger angenommen und umgesetzt werden.
Ziel/Wirkung
Die verschiedenen Verfahren unterscheiden sich stark in ihrer jeweiligen Zielsetzung und Wirkung.
Bei den Verfahren nach brasilianischem Vorbild stehen Aspekte wie bedarfsgerechte Umverteilung, Entwicklung in sozial benachteiligten Stadtteilen, demokratische Kontrolle, Korruptionsbekämpfung aber auch demokratische Entwicklung im Vordergrund.
Bei den Verfahren, die auch in Deutschland vermehrt angewendet werden, geht es eher um eine effizientere Haushaltsplanung, bedarfsorientierte Ausgaben oder Einsparungen und die Legitimation von Entscheidungen durch die Einbeziehung der Bürger. Korruptionsbekämpfung oder Umverteilung werden zumeist nicht angestrebt.
Hinweise zur Umsetzung
Für die konkrete Planung und Gestaltung eines Bürgerhaushalts kann inzwischen auf zahlreiche Handbücher, Leitfäden und Internetportale zurückgegriffen werden (siehe Links). Es gibt zudem verschiedene Angebote an vorgefertigten technischen Plattformen für eine Beteiligung über das Internet sowie Diensteister, die für die Planung und Umsetzung einbezogen werden können.
Eine der zentralen Herausforderungen für die erfolgreiche Durchführung eines Bürgerhaushalts, wie er in Deutschland praktiziert wird, besteht jedoch weiterhin darin, die Bürger für die Beteiligung am Haushalt zu gewinnen und vor allem unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen einzubinden. So können geringe und unausgewogene Beteiligungen zu einer Delegitimation des Verfahrens führen. Hierauf sollte bei der Planung und Umsetzung besonders geachtet und entsprechend geeignete Maßnahmen ergriffen werden, wie z.B. die Schaffung eines vielfältigen Angebots an Informations- und Beteiligungskanälen und aufsuchende Formen der Beteiligung. Ebenso sollte im Vorfeld versucht werden, dem Bürgerhaushalt eine entsprechende Relevanz zu verleihen, indem bereits vorher eine aus Sicht der Bürger relevante Größe des Haushalts für die Mitbestimmung durch die Bürger bereitgestellt wird. Letzteres kann als ein Grund dafür angesehen werden, warum die brasilianischen Bürgerhaushalte ein vielfaches an Beteiligung im Vergleich zum europäischen Modell zu verzeichnen haben.
Ein weiterer Hinweis zur Umsetzung betrifft den Einsatz von Bürgerhaushalten zur Konsolidierung. Hier kann auf Basis bisheriger Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass eine reine Einholung von Einsparvorschlägen durch die Bürger auf wenig Interesse und Beteiligung stößt. Eine Beteiligung an Einsparungen und Konsolidierungsmaßnahmen sollte eher auf die Kommentierung und Bewertung von Maßnahmen setzen, die von dritten erarbeiten wurden oder mit der Möglichkeit der Benennung von Investitionsmaßnahmen kombiniert werden.
Kosten/Aufwand
Bürgerhaushalte sind zumeist umfangreiche Verfahren, die darauf ausgerichtet sind, einen hohen Anteil der Bürger einer Stadt einzubeziehen. Entsprechend sind die Kosten für die Durchführung zumeist bereits aufgrund der hierfür notwendigen Öffentlichkeitsarbeit eher als hoch einzuschätzen - wenn die Massenmedien nicht für eine Berichterstattung gewonnen werden können. Hinzu kommt der Aufwand für die Verwaltung, den Haushalt verständlich darzustellen und mögliche Kosten oder Einsparungen von Vorschlägen der Bürger einzuschätzen. Die eigentlichen Durchführungskosten halten sich hingegen vor allem bei Online-Beteiligung in Grenzen.
Die möglichen hohen Kosten sind dabei nicht unproblematisch, da es bei den Bürgerhaushalten in Deutschland zumeist nicht um die Entscheidung über hohe Investitionenssummen geht, sondern nicht selten eher um Einsparungen oder zumindest um eine Kostenneutralität von Investitions- und Einsparvorschlägen.
Aufwand Teilnehmer
Der Aufwand für Teilnehmer hängt von der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens ab. Bei Online-Verfahren kann eine Beteiligung bereits mit einem Zeitbudget von weniger als einer Stunde ermöglicht werden. Bei Präsenzveranstaltungen werden zumeist ein bis zwei Tage notwendig.
Sinnvoll einzusetzen, wenn
- das Verständnis für die finanzielle Lage einer Gemeinde und die lokalen Planungsvorgänge und Anforderungen verbessert werden sollen,
- Bürger einen Einblick in die Komplexität und die Abwägungen der Haushaltsplanung erhalten sollen,
- die Bedarfsorientierung bei Ausgaben und Einsparungen verbessert werden soll,
- ausreichend finanzielle und personelle Mittel zur Durchführung bereitstehen,
- die politischen Entscheidungsträger hinter dem Verfahren stehen und sich ein auf Dauer angelegtes Verfahren wünschen,
- eine Umverteilung von Mitteln zur Verbesserung in benachteiligten Stadtteilen erreicht werden soll,
- Entscheidungen durch Rückkopplung mit den Bürgern legtimiert werden sollen.
Nicht sinnvoll einzusetzen, wenn
- nicht die Bereitschaft besteht, Gestaltungsmöglichkeiten an die Bürger abzugeben,
- die notwendigen Ressourcen nicht bestehen,
- ein einmaliges Verfahren bevorzugt wird.
Stärken
- fördert die Transparenz und die Legitimität von Haushaltsentscheidungen
- Bürger erhalten Einblicke in die Haushaltsplanung
- die Möglichkeit, über finanzielle Mittel zu entscheiden kann sich positiv auf die Bürgerbeteiligung, insb. in ärmeren Bevölkerungsgruppen auswirken (brasilianisches Modell)
- kann als öffentlicher Prozess viel Aufmerksamkeit generieren und dadurch zu einem Legitimitätsgewinn bei denjenigen führen, die sich nicht unmittelbar an der Haushaltsplanung beteiligen.
Schwächen
- kann bei schlechter Durchführung zu unrealistischen Erwartungen auf Seiten der Teilnehmer führen,
- funktioniert am besten, wenn die Bürger ohnehin schon aktiv sind,
- kann die Position der gewählten Repräsentanten oder organisierter Interessenvertretungen unterminieren,
- eignet sich weniger, wenn ein bestimmtes Ziel oder eingeschränkte finanzielle Mittel die Entscheidungsmacht der Bürger beschränken,
- die Treffen finden öffentlich statt und können dadurch durch bestimmte Gruppen dominiert werden.
Ursprung
Die Methode der Bürgerhaushalte entstand in den späten 1980er Jahren in Brasilien. Seitdem hat sich das Konzept in ganz Lateinamerika und weltweit verbreitet.