Die Agenda-Initiative in Europa: Europäische Bürgerinitiativen (EBI)
11.12.2024
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Autor: Marita Hauernherm-Fronemann
Durch Bürgerinitiativen kann direkter Einfluss auf EU-Politik genommen werden: Bürgerinitiativen fordern die EU-Kommission auf, neue Gesetze vorzuschlagen. Nach dem Sammeln von über einer Millionen Unterschriften, entscheidet die Kommission über Folgemaßnahmen.
Ort
Europaweit
Begonnen
2012
Hintergrund
- Im April 2012 ins Leben gerufen, ermöglicht die EBI Bürger und Bürgerinnen, die Europäische Kommission aufzufordern, neue Gesetzesvorschläge einzureichen.
- Der EBI hat seinen Ursprung in der Konvention über die Zukunft Europas, die von Februar 2002 bis Juli 2003 stattfand. Obwohl der aus dem Konventionsprozess hervorgegangene Entwurf des Verfassungsvertrags aufgrund negativer Referendumsergebnisse in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 nie das Licht der Welt erblickte, fand der EBI seinen Weg in den Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat. Durch den EBI erhielten die Bürger das gleiche Initiativrecht wie die Mitgesetzgeber der EU – das Europäische Parlament und der Rat – unter Wahrung des ausschließlichen Vorschlagsrechts der Kommission. Nach dem Ende der Konvention verging fast ein Jahrzehnt, bevor die erste EBI-Verordnung in Kraft trat.
Ziel
Das Ziel der Agenda-Initiative ist eine Bereicherung der politischen Landschaft. Bürger:innen wird mehr Einbringungsraum in der aktiven Gestaltung der Politik geboten. Es wird Ihnen ermöglicht, Themenschwerpunkte zu setzen und Dialoge anzustoßen. Zudem werden durch Agenda-Initiativen die Akzeptanz und Vertrauen in das politische System gestärkt.
Prozess
- Schritt 1: Initiative starten
- Schritt 2: Initiative registrieren lassen
- Schritt 3: Unterschriften sammeln
- Auf Papier (Formular) oder online
- Wie? Spätestens sechs Monate nach Registrierung beginnt die Unterschriftensammlung, dann hat man 12 Monate Zeit um Unterschriften zu sammeln.
- Wer? Alle EU-Bürger und Bürgerinnen, die das Wahlalter Ihres Landes erreicht haben.
- Schritt 4: Unterstützungsbekundung prüfen lassen
- Wenn innerhalb der 12-Monate-Frist ausreichend Unterschriften gesammelt wurden, müssen diese nach Staatsangehörigkeit sortiert und zur Prüfung an die zuständigen Behörden in den einzelnen EU-Ländern übermittelt werden.
- Schritt 5: Initiative einreichen
- Nach Erhalt der letzten Bescheinigung aller nationalen Behörden, muss die Initiative innerhalb von 3 Monaten bei der Kommission unter Angaben der Unterstützung und Finanzierung eingereicht werden.
- Schritt 6: Antwort erhalten
- Innerhalb eines Monats: Treffen mit Vertreter der Kommission zur Erörterung der Inhalte der Initiative
- Innerhalb von drei Monaten: Vorstellung der Initiative bei einer öffentlichen Anhörung im Europäischen Parlament. Aufgreifen der Initiative in einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments.
- Innerhalb von sechs Monaten: Veröffentlichung einer Mitteilung; Darlegung und Begründung der Folgemaßnahmen der Kommission (und gegebenenfalls Begründung für den Ausschluss der Maßnahmen(n)).
- Nächste Schritte: Falls die Kommission eine Rechtsvorschrift als Reaktion auf die Initiative als angemessen erachtet, wird diese als ein entsprechender Vorschlag ausgearbeitet. Nach Annahme wird der Vorschlag dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt, die ihn dann verabschieden können. Falls dies zutrifft, tritt der Vorschlag als Rechtsakt in Kraft.
Ergebnisse
(Stand 2022)
- In 10 Jahren haben über 14 Millionen EU-Bürger:innen an Europäischen Bürgerinitiativen (EBI) teilgenommen. Acht Initiativen haben das Quorum erreicht, dreien wird konkrete Wirkung zugesprochen. Die EBI „Right to Water“ hat zu einer Neufassung der Trinkwasserrichtlinie geführt.
- Die EBI ermöglicht Bürger und Bürgerinnen sich beim Agenda-Setting zu beteiligen, und fördert die Transnationalität der EU und verringert die Barrieren für Bürgerinitiativen. Gleichzeitig, zeigt die EBI geringe Visibilität unter EU-Bürger und Bürgerinnen, sowie maßgebliche Einschränkungen der digitalen Kampagnenführungsstrukturen und Einflussmöglichkeiten der Initiativen.
- Ein halb leeres oder halb volles Glas? Der Einfluss der EBI ist mehr als nur Gesetzgebung. Die Erwartungen und Einschätzungen der Auswirkungen der EBI gehen auseinander. Einige argumentieren, dass der tatsächliche Einfluss der EBI eher gering ist und die Institutionen ihr potenzielles Einflussvermögen nicht ausreichend erkannt haben. Andere sind der Meinung, dass die EBI einen echten Einfluss hatte, dieser jedoch unterschätzt und nicht ausreichend sichtbar gemacht wurde. Tatsächlich hatten einige EBIs keinen unmittelbaren politischen Einfluss, trugen jedoch erheblich zur Debatte auf europäischer Ebene bei. Zum Beispiel lehnte die Kommission bei der erfolgreichen EBI „One of Us“ die Einreichung eines Gesetzesvorschlags ab. Dennoch brachte die Initiative Themen, die zuvor nicht als Teil der europäischen Politik betrachtet wurden, wie die Regulierung von Abtreibungen, in den Vordergrund der EU-Politik. Die EBI „Stop TTIP“, die zunächst nicht von der Kommission registriert wurde, sammelte informell (d.h. außerhalb des offiziellen EBI-Prozesses) mehrere Millionen Unterschriften und trug erheblich zu einer Debatte bei, die einen beträchtlichen Einfluss auf das Schicksal der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft hatte, teilweise aufgrund ihrer starken Medienpräsenz in Ländern wie Deutschland.
Externe Links
Kontakt
Dr. Angela Jain, angela.jain@bertelsmann-stiftung.de