In der Citizens´Assembly of Scotland (CA) beratschlagten 120 zufällig ausgewählte Bürger*innen mit der Unterstützung von Expert*innen an sechs Wochenenden über die Zukunft Schottlands. Diskutiert wurde über die Fragen, was Schottland in der Zukunft für ein Land sein soll, wie das Land anstehende Herausforderungen einschließlich des Brexits bewältigen soll und welche Maßnahmen notwendig sind, damit die Bürger*innen Schottlands zukünftig informierte Entscheidungen über ihre Zukunft treffen können.
Ort
Begonnen
Videos (Youtube/Vimeo)
Hintergrund
Die schottische Politik steht unter Druck. Der zunehmenden Übertragungen von Kompetenzen an die Regionalparlamente seit 1999 stehen politische Strömungen gegenüber, die die Unabhängigkeit vom Königreich fordern. Die Zukunft Schottlands hängt davon ab, ob und inwieweit es gelingt, die große gesellschaftspolitische Kontroverse um den Brexit und die Unabhängigkeit zu lösen. Um sich dieser Herausforderung zu stellen, schlug die Regierung drei Dinge vor: neue Regelungen für ein Referendum zu entwickeln, parteiübergreifende Gespräche zur Verfassung einzuberufen und die Initiierung einer Citizens‘ Assembly mit der Aufgabe, die Perspektive der Bürger*innen zur Zukunft Schottlands in den politischen Entscheidungsprozess einfließen zu lassen.
Ziel
Die Implementierung der CA soll dem schwindenden Vertrauen gegenüber der Politik entgegenwirken, wegweisende Entscheidungen für Schottland vorbereiten und strittige Fragen bearbeiten.
Prozess
In den acht schottischen Regionen wählten die Organisator*innen auf Basis einer zentralen Adressdatei Haushalte und darin lebende Personen zufällig aus. Diese Personen wurden von Mitarbeiter*innen des Dienstleisters interviewt, um die Eignung der Personen festzustellen. Die Teilnehmenden sollten die Bevölkerung in Bezug auf Alter, Geschlecht, sozioökonomische Status, ethnische und geographische Zugehörigkeit und politische Einstellungen abbilden.
Die Treffen der Citizens´ Assembly fanden an sechs Wochenenden in sechs Monaten statt. Zu Beginn besprachen die Bürger*innen neben allgemeinen Fragen auch die Wünsche und Erwartungen an den Prozess. Das Verfahren gliederte sich in Informations,- Beratungs,- und Entscheidungsphase, die jedoch integriert und nicht getrennt abliefen. Die professionell moderierten Beratungen laufen in Kleingruppen und im Plenum ab. Die Plenarsitzungen der CA werden im Internet übertragen; die Arbeit an Einzeltischen sind nicht öffentlich. Eine Beratungsgruppe (stewarding group) bestehend aus Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen (z.B. Prof. Graham Smith) berät die CA. Weitere Expertise von Wissenschaftler*innen und Expert*innen ziehen die Mitglieder in Absprache mit den Conveners nach Bedarf hinzu.
In der ersten Phase präsentieren unabhängige Wissenschaftler*innen und Expert*innen ihre Expertise zu den diskutierten Themen.
In Phase zwei diskutieren und beraten die Teilnehmenden über die Fragen und bereitgestellten Informationen. Die Mitglieder formulieren dabei Politikempfehlungen. Am Ende der CA stimmen die Mitglieder über die Empfehlungen ab und erstellen einen Bericht, der an die schottische Regierung übermittelt wird. Die Minister*innen erhalten drei Monate Zeit um den Bericht zu prüfen und einen Action Plan einzuleiten.
Ergebnisse
Aufgrund der Corona-Krise wurden die Treffen der Citizens´ Assembly unterbrochen und es liegen dementsprechend noch keine endgültigen Ergebnisse vor. Die Conveners, welche die Veranstaltung konzipierten und moderieren, sollen Unabhängigkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit des Beteiligungsprozesses und seiner Ergebnisse fördern. Die parteipolitische Unabhängigkeit wurde von einigen Bürger*innen zu Beginn des Prozesses stark angezweifelt. Das kritische politische und gesellschaftliche Umfeld erschwert die Arbeit der CA, weil Instrumentalisierung, Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden. Ob und inwieweit die Bürger*innenperspektive in einer stark polarisierenden politischen Debatte Gehör finden kann, bleibt abzuwarten.
Kontakt
Anthony Zacharzewski
ajz10@demsoc.org