Ein Bürger*innenrat schlägt wichtige Themen mit unmittelbarem Bezug zu den Zuständigkeiten der Deutschsprachigen Gemeinschaft (Bundesland) vor. Daraufhin wird eine Bürger*innenversammlung zum Thema einberufen. Ein Vorschlagsrecht für die Themen haben auch Mitglieder des Parlaments, die Regierung und Bürger*innen, die ihren Hauptwohnsitz in der Region haben. Die Anzahl der Vorschläge des Parlaments sind auf drei im Jahr begrenzt. Vorschläge der Bürger*innen setzen mindestens 100 Unterstützer*innen in der Bevölkerung voraus. Der Bürger*innenrat hat die Möglichkeit, Vorschläge zu präzisieren, zu ergänzen oder miteinander zu verbinden.
Ort
Begonnen
Hintergrund
Das deutschsprachige Gemeinschaft Ostbelgien entwickelt sich mehr und mehr zur Modellregion für partizipative Demokratie. Ausgangspunkt für diese Entwicklung war ein vom Parlament initiierter Pilotbeteiligungsprozess mit zufällig ausgewählten Bürger*innen zum Thema Kinderbetreuung im Herbst 2017. Aufbauend auf den positiven Erfahrungen entsteht nun ein dauerhaftes Bürgerbeteiligungsmodell (bestehend aus Bürger*innenrat und Bürger*innenversammlung) als Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie. Eine Gruppe von Expert*innen entwickelte Anfang 2019 dieses Modell, das anschließend im Präsidium des regionalen ausgearbeitet und danach von der Plenarversammlung als Dekret (Gesetz eines belgischen Bundeslandes) verabschiedet wurde.
Ziel
Die Beteiligung der Bürger*innen an der Politikgestaltung soll durch den ständigen Bürger*innendialog gefördert werden. Der Dialog zielt zudem darauf ab, das Verständnis in der Bevölkerung für politische Entscheidungsprozesse zu fördern, um Vertrauen in demokratische Institutionen und deren Entscheidungen zu stärken.
Prozess
Der Bürger*innenrat tagt regelmäßig und bestimmt über die Organisation und Durchführung (Thema, Zeitpunkt, Ort, Dauer, Personenanzahl) der 2-3 tägigen Bürger*innenversammlungen. Weitere Aufgaben sind die Nachbereitung und Evaluation der zuletzt durchgeführten Bürger*innenversammlung sowie die Verfolgung der Umsetzung der Empfehlungen. Der ständige Sekretär verantwortet die operative Geschäftsführung des Bürgerdialogs. Er/sie wird vom Bürger*innenrat beaufsichtigt. Die Bürger*innenversammlung bildet das Kernstück des Dialoges. Dort beraten Bürger*innen die Themen und arbeiten Empfehlungen aus.
Phase Eins der Versammlung dient dem Zusammentragen der Informationen als Grundlage für eine informierte Beratung. Die Teilnehmer*innen greifen auf Vorträge von Expert*innen, Interessenvertreter*innen, amtliche Dokumente sowie auf Dienste des Parlaments zurück.
In Phase Zwei beraten und bewerten die Teilnehmenden unterstützt durch Moderatorenteams über Lösungsmöglichkeiten.
Phase Drei dient der Ausarbeitung der Empfehlungen. Das Parlamentspräsidium entscheidet, welcher Ausschuss sich mit dem Thema befasst. In öffentlicher Sitzung stellen die Mitglieder der Bürger*innenversammlung die Empfehlungen den Ausschussmitgliedern und dem/der zuständigen Minister*innen vor. Anschließend arbeiten die Mitglieder des Ausschusses eine Stellungnahme aus, die in öffentlicher Sitzung der Bürger*innenversammlung vorgestellt und diskutiert wird. Anschließend werden die nötigen Maßnahmen zur Umsetzung entweder durch das Parlament oder die Regierung eingeleitet.
Ergebnisse
Ostbelgien entwickelt die erste Konsultative als dauerhafte Ergänzung des Parlaments und zeigt, dass Initiativen aus der Zivilgesellschaft zusammen mit guten Beteiligungserfahrungen einen fundamentalen Wandel der Demokratie auslösen können. Das entwickelte Modell aus Bürger*innenrat und Bürger*innenversammlung im Zusammenspiel mit dem Parlament dient als Vorbild für andere Regionen, wie partizipative Demokratie dauerhaft institutionell verankert und sinnvoll eingebunden sein kann. Der erste Bürger*innenrat hat im September 2019 getagt und das Thema „Pflege geht uns alle an! Wie können die Pflegebedingungen für Personal und Betroffene verbessert werden?“ festgelegt. Die für März 2020 geplante Bürger*innenversammlung wurde aufgrund der Corona-Krise auf September 2020 verschoben, daher liegen bisher noch keine Erfahrungen und konkreten Ergebnisse vor.
Kontakt
Anna Stuers buergerdialog@pdg.be
Yves Dejaeghere y.dejaeghere@fgf.be
Christoph Niessen christoph.niessen@uclouvain.be